Energiewendemärchen der Woche 03-2022

Alex Honnold und die Politikberatung

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Alex Honnold und die Politikberatung

André D. Thess

20. Januar 2022

Die Behauptung: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) nimmt im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Politikberatung gelegentlich zu Computersimulationen Stellung. Dazu gehören Klimasimulationen, Energiesystemsimulationen und neuerdings auch Simulationen der Ausbreitung von Coronaviren. In einem Editorial mit dem Titel „Mutig zur Wissenschaft stehen“ schreiben DPG-Präsident Lutz Schröter und DPG-Vorstandsmitglied Ulrich Bleyer in der Januarausgabe des Physik-Journals: „Was aktuell den Experten entgegenschlägt, ist in dieser massiven Form ein wachsendes Problem unserer Gesellschaft. Ein eklatanter Fall war die Diffamierung unserer Kollegin Viola Priesemann und der Kollegen Dirk Brockmann und Michael Meyer-Hermann als „Lockdownmacher“ in der BILD-Zeitung. Diese Anfeindungen sind der traurige Höhepunkt einer Reihe medialer Entgleisungen, wie sie auch Klimaforscherinnen und -forscher  ertragen müssen.“

Meine Analyse: Die Debatte offenbart zwei Probleme des Wissenschaftssystems: Ein gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit und fehlende Sensibilität für mögliches Simulationsversagen.

Beginnen wir mit dem ersten. Zahlreiche Energie-, Klima- und neuerdings Coronaforscher genießen den Sonnenschein wohlwollender medialer Berichterstattung sichtlich. Sie protestieren weder gegen unwissenschaftliche Vokabeln wie „Klimakrise“ statt Klimawandel noch gegen die Dramatisierung ihrer Forschungsergebnisse, solange sie kritiklos bleibt. Verwendet die Boulevardpresse hingegen polemische Vokabeln wie „Lockdownmacher“ reagieren sie mimosenhaft. Besser wäre es nach meiner Ansicht, sie würden die Döpfner-Maxime der BILD-Zeitung beherzigen: „Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.“

Das zweite Problem betrifft die persönliche Verantwortung von Forschern bei Simulationsversagen. In der Simulationswissenschaft gilt der Grundsatz, dass Computersimulationen nur dann für Vorhersage- und Beratungszwecke eingesetzt werden dürfen, wenn sie vorher fachgerecht validiert worden sind. Unter Validierung ist der Vergleich mindestens eines repräsentativen Simulationsergebnisses mit hochwertigen experimentellen Daten zu verstehen. Während Flugzeughersteller für Abstürze wegen Simulationsversagen (oder anderen Gründen) mit ihrem wirtschaftlichen Untergang haften, wurden allem Anschein nach unvalidierte Corona-Simulationen für die Beratung der Bundesregierung eingesetzt. Wer haftet, wenn sich Freiheitsbeschränkungen wegen Simulationsversagen als ungerechtfertigt erweisen?

Der Free-Solo-Star Alex Honnold klettert Routen wie den Freerider auf den El Capitan ohne Seilsicherung. Der kleinste Fehler hat fatale Folgen. Solche Leistungen bezeugen Selbstbewusstsein und professionelles Risikomanagement.

Mein Fazit: Wer sich auf das Terrain computergestützter Politikberatung begibt, sollte sich seiner Simulationswerkzeuge so sicher sein wie Alex Honnold seiner Kletterkünste.  Anderenfalls sollte er der Politikberatung fern bleiben und die Medien meiden.  

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

 

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