Energiewendemärchen der Woche 10-2022

Ausstiege für die Weltrettung

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Ausstiege für die Weltrettung

André D. Thess

10. März 2022

Die Behauptung: Nach dem Atomausstieg (beschlossen 2011) und dem Kohleausstieg (beschlossen 2019) ist seit März 2022 nun auch vom Gasausstieg die Rede. Der Neologismus liefert mit 62.700 Google-Treffern zwar vorerst weniger Ergebnisse als die erstgenannten Vokabeln mit ihren Millionentreffern. Er hat aber immerhin schon den Plastikstrohhalmausstieg (6.640 Treffer) und den Verbrennungsmotorenausstieg (34.800 Treffer) überholt. So schreibt die Organisation Greenpeace auf ihren Webseiten: „Rund ein Viertel unserer Energie kommt aus Erdgas - und das ist viel klimaschädlicher als sein Ruf. Deswegen brauchen wir für die Energiewende auch einen Ausstieg aus Erdgas.“

Meine Analyse: Vor dem Hintergrund deutscher Staatsgläubigkeit und der klimaökonomischen Ineffizienz deutscher Energiepolitik finde ich es intellektuell anregend, sich in einem Gedankenexperiment einmal die Frage zu stellen, wann Deutschland aus welcher Energiequelle aussteigen würde, wenn es bei uns ab morgen nur noch einen „Minimalstaat“ gäbe.

Der Minimalstaat – aus meiner Sicht zu Unrecht als „Nachtwächterstaat“ verunglimpft – beschränkt sich auf die Gewährleistung öffentlicher Ordnung und den Schutz des Privateigentums. Subventionen sind tabu. Jeder Wirtschaftszweig trägt seine Risiken privatwirtschaftlich, so wie sich heute beispielsweise Fluggesellschaften gegen Abstürze versichern. Der Wirtschaftswissenschaftler Ludwig von Mises meinte: „Doch es ist nicht einzusehen, warum der Nachtwächterstaat lächerlicher oder schlechter sein sollte als der Staat, der sich mit der Sauerkrautzurichtung, mit der Fabrikation von Hosenknöpfen oder mit der Herausgabe von Zeitungen befaßt.“

Wir wollen in dieser Kurzanalyse zwei Fragen behandeln: Aus welchen Energiequellen würde der Minimalstaat aussteigen, wenn es keine internationale Klimapolitik gäbe? Aus welchen Energiequellen würde der Minimalstaat aussteigen, wenn es eine internationale Klimapolitik in Form eines weltweit einheitlichen CO2-Preises gäbe? Der Einfachheit beschränken wir uns auf den Stromsektor und nehmen an, es gäbe nur die fünf Energiequellen Kohle, Gas, Kernenergie, Sonne und Wind.

Im ersten Fall würden sämtliche Subventionen für erneuerbare Energien sowie die staatliche Übernahme der Versicherungsrisiken für Kernkraftwerke wegfallen. In einem solchen Fall ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich in Deutschland mit dem Tag der Einführung des Minimalstaates umgehend Atomausstieg, Solarausstieg und Windausstieg vollziehen würden. Als Energiequellen für den Stromsektor blieben Gas und Kohle.

Im zweiten Fall würde die Besteuerung von Kohlendioxid die Verstromung von Gas und Kohle schrittweise verteuern. Die Preisdifferenz zu Sonne, Wind und Kernenergie würde sich verringern. Bei der Berechnung dieser mit steigendem CO2-Preis sinkenden Differenz wäre allerdings zu beachten, dass die Kernenergie durch Vollversicherung gegen Atomunfälle und die Solar- und Windenergie durch Speicherkosten, Rückbaukosten und Kompensationskosten für Landschaftsverbrauch Zusatzkosten schultern müssten. Bei einem hinreichend hohen CO2-Preis ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass nach Einführung des Minimalstaats Deutschland ganz ohne regulatorisches Zutun einen Gas- und Kohleausstieg vollzieht. Als Energiequellen für den Stromsektor blieben dann Sonne, Wind und Kernenergie.


Mein Fazit:
Die als Weltrettung verkündete Ausstiegslawine würde sich ohne staatliches Zutun vermutlich gleichförmiger und geordneter vollziehen und im Fall einer international koordinierten Klimapolitik über einen weltweiten CO2-Preis zu einem ökonomisch effizienten Klimaschutz führen.


Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

 

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