Energiewendemärchen der Woche 12-2022

Rettungsanker Desertec?

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Rettungsanker Desertec?

André D. Thess

24. März 2022

Die Behauptung: Aus aktuellem Anlass wird in Deutschland intensiv darüber diskutiert, russisches Erdgas zu ersetzen. Zwar hat sich noch nicht jeder der 83 Millionen Energieexperten der Nation mit einem eigenen Lösungsvorschlag zu Wort gemeldet. Doch ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis auch das Wüstenstromprojekt Desertec aus der Mottenkiste geholt und der Bevölkerung als Rettung in der Not verkauft wird. Immerhin hat der damalige Siemens-Chef Peter Löscher Desertec im Jahr 2009 als „das Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet.

Meine Analyse: Für das Verständnis von Desertec ist es hilfreich, sorgfältig zwischen technischer Basis und propagandistischem Überbau zu unterscheiden.

Die wissenschaftliche Basis von Desertec beruht auf der Idee, in Nordafrika große Solarspiegel-Kraftwerke zu bauen und den Strom nach Europa zu übertragen.  Wüstenstrom aus Solarkraftwerken, gekoppelt mit Wärmespeichern kann nämlich – anders als schwankender europäischer Ökostrom – ebenso bedarfsgerecht erzeugt werden wie heute Strom aus Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerken. Er könnte als sogenannter regelbarer Strom zur Deckung der Grundlast Europas eingesetzt werden.  Der finanzielle Aufwand gegenüber einer autarken europäischen Stromversorgung wäre nach Ansicht von Fachleuten geringer.

Die Idee für Desertec geht auf den deutschen Elementarteilchenphysiker Gerhard Knies zurück. Die energietechnische Basis wurde ab 2005 am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Stuttgart von Franz Trieb sowie von Fachleuten des Fraunhofer-Institutes für Solare Energiesysteme in Freiburg erarbeitet. Die meisten Experten sind sich heute einig, dass die damals formulierten Konzepte für Produktion und Nutzung des Wüstenstroms prinzipiell technisch machbar sind.

Während Forscher an der wissenschaftlichen Basis von Desertec zimmerten, entfaltete sich ein  propagandistischer Überbau, der in der Technikgeschichte seinesgleichen sucht. Es erfolgte eine Mobilisierung von Organisationen wie dem Club of Rome, dem Jordanischen Energieforschungszentrum und dem Hamburger Klimaschutzfonds sowie die Schaffung des Trans-Mediterranean Renewable Energy Network. Dieses pries Desertec bald als Revolution der Energieversorgung an. In diese Zeit fällt auch das Löscher-Zitat.

In einem Weißbuch unter dem Namen „Clean Power from the Deserts“ forderte eine Gruppe von Wissenschaftlern, Politikern und Industrievertretern ein Startkapital in Höhe von 10 Milliarden Euro für die Umsetzung der Vision. Die hemdsärmelige Formulierung „a fund of about 10 billion Euros would get things started“ und der Verweis auf die steuerfinanzierte Mondlandung (“Humankind has succeeded in reaching the Moon. Now it has everything that is needed for an equally successful programme to master the energy, water and climate crises on Earth. – Let’s do it!”) ließen für Außenstehende kein Zweifel, dass die Desertec-Protagonisten die Welt nicht mit eigenem Geld, sondern mit dem des Steuerzahlers retten wollten. Es folgten mehrjährige Bemühungen zur Mobilisierung dieser Mittel. Im  Oktober 2014 beschloss die Desertec Industrial Initiative GmbH die Schließung ihrer Zentrale in München.

Mein Fazit: Desertec ist nach meiner Einschätzung ein technisch machbares aber ökonomisch noch nicht tragfähiges Konzept. Vor einer neuen öffentlichen Desertec-Debatte sollten wir an die Worte des Ökonomen Hans-Werner Sinn denken: „Dass so vieles nicht produziert wird, was die Ingenieure produzieren könnten, wenn man sie ließe, ist die eigentliche Leistung der Marktwirtschaft. Sie selektiert das Sinnvolle und verdammt das Unsinnige zur bloß ideellen Existenz in den Schubladen.“

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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