Energiewendemärchen der Woche 41-2021

Alternativloser Kohleausstieg?

Alternativloser Kohleausstieg?

André D. Thess

14. Oktober 2021

 

Die Behauptung: Ein Twitter-Nutzer schreibt an eine deutsche Politikerin: „Mein Sohn ist 11 Jahre alt. Für ihn ist ein schneller Kohleausstieg alternativlos, denn er versteht, dass sich mit den Naturgesetzen in der Klimakrise kein Kompromiss schließen lässt… Bitte zeigen Sie ihm, dass dies die Politik auch versteht.“

Meine Analyse: Lassen wir die energiepolitische Kompetenz elfjähriger Naseweise einmal außer Acht. Dann können wir zunächst feststellen, dass ein Kohlekraftwerk weder „gut“ noch „böse“ ist. Einerseits sind Kohlekraftwerke im Weltmaßstab der größte Emittent von CO2 und tragen somit stark zum menschengemachten Anteil am Klimawandel bei.  Andererseits haben Kohlekraftwerke durch preiswerten Strom mehrere hundert Millionen Menschen in China und Indien von Energiearmut befreit. Deshalb lautet die zentrale Frage: Wie lassen sich Kohlekraftwerke kosteneffizient dekarbonisieren?

Der klimaökonomische Effizienzmaßstab heißt nicht politische Schönheit, sondern CO2-Vermeidungskosten. Diese werden in Euro pro Tonne CO2 (€/t) ausgedrückt.

Die mit Abstand preiswerteste CO2-Sparmaßnahme im Kohlesektor ist die Ertüchtigung von Kraftwerksveteranen in Afrika und Asien. Zwar gibt es für die zugehörigen CO2-Vermeidungskosten keine gesicherten Zahlen – vermutlich weil das Thema nicht besonders „sexy“ klingt. Kraftwerksfachleute sind sich jedoch einig, dass schon die Abdichtung der Dampfkessel zwecks Verhinderung von Falschlufteinbrüchen, die Isolierung von Frischdampfleitungen sowie die Ertüchtigung von Pumpen und Verdichtern mit vergleichsweise geringem Aufwand die Wirkungsgrade deutlich steigert und die Emissionen senkt. Insider schätzen die CO2-Vermeidungskosten auf unter 10 €/t.

Weitere kosteneffiziente Maßnahmen mit Vermeidungskosten in der Größenordnung 100 €/t sind der partielle oder vollständige Ersatz der Kohleverbrennung durch solar beheizte Flüssigsalzspeicher oder durch modulare Kernreaktoren (siehe Bild).

Zum Vergleich: Der Ersatz eines konventionellen Pkw durch ein Elektroauto ist typischerweise durch CO2-Vermeidungskosten weit über 200 €/t gekennzeichnet, siehe auch hier, Kapitel 3. Fliegen mit synthetischem Kerosin schlägt mit 500 €/t bis 1000 €/t zu Buche.

Mein Fazit: Der deutsche Kohleausstieg ist klimaökonomisch ineffizient. Dem Klima wäre mehr geholfen, wenn wir die vorgesehenen Milliarden in die Modernisierung alter Kohlekraftwerke in Afrika und Asien investieren würden.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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