Energiewendemärchen der Woche 51-2021

Unversicherbare Kernenergie

Unversicherbare Kernenergie

André D. Thess

23. Dezember 2021

Die Behauptung: Der Kognitionspsychologe Christian Stöcker schrieb am 12. Dezember 2021 auf Spiegel-Online in einem Beitrag mit dem Titel Kernkraft ist nachhaltig – nachhaltig unversicherbar: „Für die – statistisch betrachtet nach aktuellem Stand tatsächlich ziemlich kleinen, aber eben im Schadensfall katastrophalen – Risiken haftet im Zweifelsfall der Staat. Also wir alle.“

Meine Analyse: In einem Gemeinwesen, in dem sich jeder Industriezweig gegen seine Risiken privatwirtschaftlich versichern müsste, gäbe es nach meiner Überzeugung keine Kernkraftwerke. Hier endet womöglich der Horizont von Spiegel-Online, nicht aber das kritische Denken mündiger Bürger.

Auf einer Klimakonferenz hörte ich vor knapp zehn Jahren eine Präsentation aus einem weltweit tätigen Versicherungsunternehmen zum Thema Klimawandelschäden. Nach dem Vortrag fragte ich den Referent: „Zu welchem Preis würde Ihr Unternehmen die Bundesrepublik Deutschland gegen den Misserfolg der Energiewende versichern?“ Ich präzisierte: „Wenn wir in den kommenden vierzig Jahren jährlich zweistellige Milliardenbeträge für Klimaschutz ausgeben und die deutschen CO2-Emissionen sinken nicht im erwarten Maß, zu welchem Jahresbeitrag würde Ihr Unternehmen dann den volkswirtschaftlichen Schaden erstatten?“ Der Experte versprach mir eine Rückmeldung per E-Mail. Auf die Antwort warte ich bis heute. Die fragliche Zahl müsste dem EEG zugeschlagen werden, ebenso wie die „Nuklearunfallversicherung“ dem Atomstrom.

Die Geschichte mag auf den ersten Blick amüsant erscheinen. Doch sie offenbart bei genauerem Hinsehen, dass jede Klimaschutzmaßnahme – nicht nur die Kernenergie – hohe finanzielle Risiken birgt. Die Gesellschaft muss deshalb eine schwierige Abwägung treffen – zwischen der Vergesellschaftung der finanziellen Risiken der Kernenergie und der Vergesellschaftung der finanziellen Risiken anderer Klimaschutzmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund bilden die Versicherbarkeit der Kernenergie und die Versicherbarkeit der Energiewende eine Einheit.

Mein Fazit: Kernenergie und Energiewende sind gleichermaßen unversicherbar. Trotzdem sollten wir beides tun und einen Teil der finanziellen Risiken vergesellschaften.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

 

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