Energiewendemärchen der Woche 29-2021

Parlamentswanderungen im Klimanotstand

Parlamentswanderungen im Klimanotstand

André D. Thess

  1. Juli 2021

 

Die Verlautbarung: Am 29. November 2019 rief das EU-Parlament den „Klimanotstand“ aus. Die Kommission solle dafür sorgen „dass alle relevanten Gesetzes- und Haushaltsvorschläge vollständig mit dem Ziel übereinstimmen, die Erderwärmung auf unter 1,5°C zu begrenzen.“ Am 14. Juli 2021 beschloss die EU die „Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft“ zur Erreichung der Klimaziele. In der Presseerklärung heißt es: „Wir wollen der nächsten Generation […] einen gesunden Planeten hinterlassen...“

Meine Analyse: Mit Stand vom 23. Juni 2021 besteht das EU-Parlament aus 705 Personen. Sie reisen an zwölf Sitzungsterminen im Jahr samt Entourage und Akten zwischen Brüssel und Straßburg hin und her. Die Entfernung beträgt knapp 500 Kilometer. Das macht pro Sitzung 1.000 km und pro Jahr 12.000 km. Nehmen wir zugunsten der Parlamentarier an, dass sie ohne Personal und ohne Aktentransport mit einem Pkw fahren. Nehmen wir weiterhin optimistisch eine CO2-Emission von nur 100 g pro Passagierkilometer an. Das ergibt pro Parlamentarier und Jahr einen Ausstoß von 1,2 Tonnen CO2.  Dies entspricht einem Achtel der pro-Kopf Emissionen Deutschlands oder zehn Flügen zwischen Frankfurt und Mallorca. Unbestätigten Schätzungen zufolge liegen die Emissionen weitaus höher - angeblich bei 20.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Das wären knapp 30 Tonnen pro Parlamentarier oder 250 Flüge Frankfurt-Mallorca.  

Warum wurde diese ineffiziente Doppelstruktur nicht spätestens seit der Ausrufung des „Klimanotstandes“ abgeschafft? Laut EU-Webseite lautet die Antwort „Für jede Änderung des gegenwärtigen Systems wäre eine Änderung des Vertrags erforderlich, die von den Regierungen aller Mitgliedstaaten einstimmig vereinbart und von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden müsste.“ Nach Corona-Ausbruch ging jedoch alles ganz schnell. Die Sitzungen finden in Brüssel oder online statt. Eine unbefristete Beibehaltung dieses Provisoriums – auch ohne Ratifizierung durch nationale Parlamente – hätte diesen Vorteil: „Ein Beispiel zu geben ist nicht die wichtigste Art, wie man andere beeinflusst. Es ist die einzige.“ (Albert Schweitzer)

Mein Fazit: Wenn die EU-Parlamentarier die Wanderungsbewegung Brüssel-Straßburg nicht zugunsten des Klimaschutzes einstellen, sind sie keine glaubwürdigen Vorbilder für die „Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft“.

 

Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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