Energiewendemärchen der Woche 45-2021

Überschätzte Energieeffizienz

Überschätzte Energieeffizienz

André D. Thess

11. November 2021


Die Behauptung
: In zahlreichen EU-Dokumenten, zum Beispiel hier, wird behauptet: „Energieeffizienz ist einer der Grundpfeiler unserer Klimaziele – von gleicher Bedeutung wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie wird jedoch bei Planungs- und Investitionsprogrammen der EU und jenseits der EU unterschätzt.“

Meine Analyse: Würde Energieeffizienz einen gesellschaftlichen Wert an sich verkörpern, wie EU-Funktionäre mit ihrem Motto “efficiency first” insinuieren, so dürften, um nur einige Beispiele zu nennen, Verbrennungsmotoren nur noch mit Diesel betrieben werden, weil dieser Motorentyp die höhere Energieeffizienz besitzt. Solarenergie müsste verboten werden, weil sie bei Verstromung im Vergleich zur Windenergie den niedrigeren Wirkungsgrad und damit die geringere Energieeffizienz aufweist. Und das ungeachtet der Tatsache, dass sie wesentlich besser speicherbar ist. Das Höchsttempo auf Autobahnen müsste auf neunzig Kilometer pro Stunde festgelegt werden, da der Treibstoffverbrauch bei dieser Geschwindigkeit besonders niedrig ist. Der Vertrieb von stillem Mineralwasser in Flaschen müsste eingestellt werden, weil der Transport von Trinkwasser durch Wasserleitungen energieeffizienter ist als der Transport von Flaschen auf der Straße.

Glücklicherweise musste Thomas Newcomen im Jahr 1712 für den Bau der ersten Dampfmaschine kein Fördergesuch bei der EU einreichen. Hätte er im Antragsformular den Wirkungsgrad wahrheitsgemäß auf ein bis zwei Prozent beziffert, so wäre das Projekt mit Verweis auf “efficiency first” abgelehnt worden. Die erste industrielle Revolution wäre ausgefallen. Gleiches gilt für Gottlieb Daimler, das erste Auto und die Mobilitätsrevolution.

Ein nüchterner Blick verdeutlicht, dass das Alltagsleben in einer Marktwirtschaft nicht von Energieeffizienz, sondern von Kosteneffizienz bestimmt ist. Würde es beispielsweise gelingen, synthetisches klimaneutrales Kerosin zu einem Preis von unter 50 Cent pro Liter herzustellen, würde dies – selbst bei niedrigem energetischem Wirkungsgrad bei der Brennstoffherstellung – die Luftfahrt auf einen Schlag erfolgreich dekarbonisieren.

Mein Fazit: Energieeffizienz ist tatsächlich eine wichtige Kenngröße für Techniker bei der Optimierung von Kraftwerken, Gasturbinen und Kälteaggregaten. Die Verwendung dieses Begriffes in der öffentlichen Diskussion um Energie- und Klimapolitik lenkt jedoch von der zentralen Kostenproblematik ab und ist deshalb irreführend.


Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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