Energiewendemärchen der Woche 46-2021

Teure Kernenergie

Teure Kernenergie

André D. Thess

18. November 2021

Die Behauptung: Der Nabu schreibt auf seinen Webseiten: „Atomstrom wird neben den Umweltrisiken auch zum finanziellen Desaster“. Ähnliche Aussagen lassen sich in Presse, Fernsehen und in den sozialen Medien finden.

Meine Analyse: Die klimaökonomische Effizienz einer CO2-Vermeidungsmaßnahme wird durch die CO2-Vermeidungskosten in Euro pro Tonne Kohlendioxid angegeben. Um die weltweiten Emissionen aus Kohlekraftwerken einzudämmen, wäre es beispielsweise möglich, ein in China in Planung befindliches Kohlekraftwerksprojekt zu stoppen und stattdessen an gleicher Stelle ein Kernkraftwerk zu bauen. Wie groß wären die CO2-Vermeidungskosten für diese Klimaschutzmaßnahme?

Ich setze für das Atomkraftwerk Investitionen in Höhe von zehntausend Euro pro Kilowatt installierter elektrischer Leistung an. Diese Zahl ist konservativ kalkuliert. In dem MIT-Bericht “The Future of Nuclear Energy in a Carbon-Constrained World” aus dem Jahr 2018 stellt diese Zahl in Abbildung 2.4 die obere Grenze seriöser Schätzungen dar. Die Betriebs- und Brennstoffkosten eines Kernreaktors nehmen nur etwa 20 % des Investitionsvolumens in Anspruch. Deshalb vernachlässigen wir sie. In der mit 40 Jahren angenommenen Laufzeit entstehen aus jedem installierten Kilowatt mithin ungefähr 400.000 Kilowattstunden Strom.

Um den finanziellen Mehraufwand für das Kernkraftwerk gegenüber dem Kohlekraftwerk zu berechnen, nehmen wir an, die Investitionskosten für das Kohlekraftwerk seien Null. Dies ist eine Annahme zu Ungunsten der Nuklearenergie. Wir nehmen ferner an, das Kohlekraftwerk emittiere pro Kilowattstunde ein Kilogramm CO2. In seinem 40-jährigen Leben erzeugt es pro installiertem Kilowatt somit ungefähr 400 Tonnen CO2. Diese sparen wir durch das Kernkraftwerk ein. Dividieren wir die Differenz von 10.000 Euro durch die eingesparten 400 Tonnen, so erhalten wir als CO2-Vermeidungskosten 25 Euro pro Tonne.

Wem das Investitionsvolumen von 10.000 Euro pro Kilowatt zu niedrig erscheint und wer gern Kosten für Endlagerung, Versicherung und Unvorhergesehenes einpreisen möchte, multipliziert  diese Zahl mit einem Sicherheitsfaktor. Selbst bei einem großzügig bemessenen Faktor vier, also bei 40.000 Euro pro Kilowatt, würden wir immer noch wettbewerbsfähige CO2-Vermeidungskosten in Höhe von 100 €/t erhalten. Selbst dieser großzügig aufgerundete Betrag ist kleiner als beim Ersatz konventioneller Autos durch Elektroautos und beim Fliegen mit synthetischem statt fossilem Kerosin, siehe auch hier.

Mein Fazit: Trotz einiger nicht zu vernachlässigender finanzieller Risiken ist die Kernenergie eine kosteneffiziente Technologie für die Dekarbonisierung des weltweiten Energiesystems

N.B: Eine analoge Rechnung für Solar- und Windenergie ist dem interessierten Leser überlassen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass „nackte“ Wind- oder Solaranlagen kein Ersatz für ein grundlastfähiges Kohlekraftwerk sind. Die Kostenanalyse muss dann nach der Formel Kohlekraftwerk = Windpark + Speicher oder Kohlekraftwerk = Solarkraftwerk + Speicher erfolgen.


Der Autor: André D. Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ Kontakt: energiewendemaerchen@t-online.de

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